»Uns gehört die Straße!«

Ein Gastbeitrag von Petra Mattheis und Sascha Nau über die Anfänge des Bohei & Tamtam. Im Rahmen des Projektes Wunderwesten sprachen sie im Juli 2016 mit Eurcaris Guillen und Katja Berger, als das erste Straßenfest gerade geplant und durchgeführt wurde.

Ziel war und ist es, das Viertel als Handwerks- und Künstlerquartier sichtbar machen, den hier Arbeitenden eine Plattform bieten, ihre Produkte auf der Straße zu präsentieren und damit auch neue Akteure anziehen.

Wie seid ihr nach Leipzig gekommen?
Katja: Ich bin 1998 zum Studieren nach Leipzig gekommen und habe nach meinem Abschluss sechs Jahre in der Schaubühne gearbeitet. Anfangs als Praktikantin, zum Schluß als Produktionsleiterin. Dadurch kenne ich auch das Viertel und dessen Entwicklung. Gewohnt habe ich Anfangs im Osten, später dann im Waldstraßenviertel in einer Wohngemeinschaft. Wir mussten 2010 ausziehen, weil das Haus verkauft und hochwertig saniert wurde. Mit unserer Abfindung haben wir uns ein Haus im Leipziger Westen gekauft.

2010 habt ihr schon auf die Abfindung gepocht. War das damals schon üblich?
Katja: Wir waren mit die ersten hier in Leipzig, die eine gute Abfindung herausschlagen konnten. Wir hatten einen engagierten Anwalt, der den Prozess über zwei Jahre hinweg begleitete. Er kam aus Berlin und dort war diese Praxis schon länger üblich. Es war uns klar, dass wir im Waldstraßenviertel als alternativ lebende Menschen nicht bleiben können. Wir hatten andauernd Streß mit den Anwohnern. Für die Anwohner dort ist es okay, wenn Menschenmassen durch das Viertel ziehen um in der Arena Fußball zu schauen. Aber wenn wir gegrillt haben kam gleich die Polizei.

Wie viele von eurem WG-Haus haben sich dann hier wieder zusammengefunden?
Katja: Wir waren 18 und neun haben das Geld in das Haus im Leipziger Westen gesteckt.

Und läuft das gut? Habt ihr euch als Verein aufgestellt?
Katja: Wir haben das Haus als Verein gepachtet und später auch gekauft.

Es kann also nicht jemand eigenmächtig seinen Teil verkaufen?
Katja: Nein, wir sind alle Mieter und haben einen ganz normalen Mietvertrag. Wir unterschreiben unsere eigenen Mietverträge, das ist lustig. So weit funktioniert das gut. Wir mussten uns ja auch nicht neu als Hausgruppe zusammenfinden. Wir haben ja schon viele Jahre als Freundeskreis zusammengelebt und wir wußten, was wir wollen. Ein Haus, dass wir selber gestalten können, in dem wir uns frei bewegen können und auch das Beet im Hof anlegen können, ohne jemanden nach einer Genehmigung fragen zu müssen. Letztlich haben wir von der Immobilienfirma erwirkt, dass wir vieles mitnehmen konnten – die Öfen, die Badewannen. Wir haben alles mitgenommen, was nicht fest installiert war.

»Wir organisieren das Straßenfest aus der Motivation heraus, in den Stadtraum einzudringen und die Entwicklung, den Kurs zu beeinflussen.«

Weil es sowieso rausgeworfen worden wäre?
Katja: Ja klar, die haben alles entkernt. Aus Gründen des Denkmalschutzes durften wir allerdings die Jugendstilöfen nicht mitnehmen. Wer weiß, ob die heute da noch stehen oder ob sie trotzdem abgeschlagen wurden. Wir haben die Steckdosen und Lichtschalter mitgenommen. Wir wissen heute noch, dass der Lichtschalter bei uns im Flur früher in der Küche installiert war.

@regentaucher.com
@regentaucher.com
Impressionen des Straßenfestes Bohei & Tamtam. @regentaucher.com
@regentaucher.com
@regentaucher.com
Impressionen des Straßenfestes Bohei & Tamtam. @regentaucher.com
©regentaucher.com

Wie hast Du das Waldstraßenviertel erlebt vor fünfzehn Jahren?
Katja: Es war viel studentischer als jetzt. Aber was es nicht gab, waren Kneipen und Orte zum ausgehen. Alles fand im Privaten statt. Es gab viele WG-Häuser mit denen wir einen guten Kontakt hatten und gelegentlich auch mal feierten. Mittlerweile ist es dort sehr schick geworden. Jetzt gibt es auf der Jahnallee auch mehr Gastronomie. Früher musste man schon gucken, wenn Mutti und Vati kamen und man ausgehen wollte. Daher auch die Überlegung in den Leipziger Westen zu gehen, denn es gab dort noch viele Freiräume. Wir waren 2010 nicht die ersten, aber auch nicht die letzten. Die LWB hat ihre Gründerzeithäuser nur über einen Zeitraum von wenigen Jahren in Erbpacht herausgegeben. Das war attraktiv. Wo hat man jetzt noch diese Möglichkeit? Vielleicht im Leipziger Osten.

Wenn die Stadt irgendwann durchgeplant und entwickelt ist und du kein Viertel mehr findest, in dem es noch Freiräume gibt, wohin dann?
Vermutlich müsste man ins Vogtland gehen, in Kleinstädte und da was losmachen.

Spielst du mit dem Gedanken?
Nein, nicht wirklich. Wir organisieren das Straßenfest ja gerade aus der Motivation heraus, in den Stadtraum einzudringen und die Entwicklung, den Kurs zu beeinflussen. Wir können den Kurs noch immer mitgestalten.

Dazu kommen wir gleich. Eu, wie bist du nach Leipzig gekommen und warum?
Eucaris: Das Leben hat mich nach Leipzig gebracht. Ein Freund hat mich herausgefordert. Ich musste mich mit knapp zwanzig Jahren innerhalb von zwei Wochen entscheiden, ob ich dieses Spiel mitspiele und bereit bin, auf einem anderen Kontinent zu studieren.

Ein Freund hat dich herausgefordert?
Eucaris: Ja.

Katja: Hast du eine Wette verloren und musstest nach Leipzig?

Eucaris: Ja, so ähnlich. Dieser Freund hatte schon mehr von der Welt gesehen als ich. Ich stamme aus Panama und hatte das Land damals noch nicht verlassen. Panama befand sich damals in einer politisch schwierigen Situation und ich kannte einige Leute, die damals zum Studieren nach Kanada oder in die USA gingen.

Eigentlich hatte ich damals nicht die Ambition ins Ausland zu gehen, aber ich wusste von der Ausschreibung eines Stipendiums für ein Studium in Deutschland. Ich wußte damals nichts von der Teilung Deutschland. Meine politische Bildung war gleich null. Ich bewarb mich und aus einer unbekümmerten Wette wurde plötzlich Realität. Das war 1988 und ich musste mit knapp zwanzig Jahren meinen Eltern aus heiterem Himmel beibringen, dass ich ein Stipendium erhalten habe und nach Leipzig gehen werde. Wir dachten, wenn es mir nicht gefällt, dann gehe ich zurück. Der Mann meiner Schwester war damals in Würzburg stationiert, aus unserer damaligen Sicht als gleich in der Nähe. Das ist doch gut. Klar, da ist eine Mauer dachte ich, aber das ist bestimmt nur ein Maschendrahtzaun. Aber es war alles ganz anders. Am Anfang war es ein Riesenschock.

@regentaucher.com

Die Stadt war schwarz und kaputt. Es fühlte sich an, als wäre der Krieg erst vor kurzem beendet worden. Und doch war es unglaublich faszinierend.

Du bist also kurz vor der Wende nach Leipzig gekommen? Dann hast du den Mauerfall persönlich mitbekommen?
Eucaris: Ja. Ich kam damals in Berlin an und es hieß, wir fahren auf der Autobahn bis nach Leipzig. Während der Fahrt habe ich ganz naiv gefragt, wo denn die BMWs und Mercedes sind? Ich habe nur ganz kleine Pappautos gesehen. Ich war darauf nicht vorbereitet. Mir wurde bald klar, dass es doch nicht so leicht sein wird, meine Schwester zu besuchen.

Die Stadt war schwarz und kaputt. Es fühlte sich an, als wäre der Krieg erst vor kurzem beendet worden. Und doch war es unglaublich faszinierend, wie hier alles ablief und geregelt wurde. Die Menschen waren völlig anders, für mich waren sie so rein, sie waren nicht konsumverdorben. Sie freuten sich über jede Kleinigkeit. Das war beeindruckend und schön zu sehen. Ich habe Technologien erlernt, die es in Panama schon nicht mehr gab. Vielleicht im Museum, aber nicht mehr im praktischen Gebrauch. Schrift wurde noch aus Blei gegossen, es gab keine Farbfotografie, es war wie eine Zeitreise in die Vergangenheit.

Ich bin damals mit anderen Studenten zu den Montagsdemos gegangen, um uns für die Sache einzusetzen. Wir haben auch die Phase der Rechtsradikalität miterlebt. Bei uns im Wohnheim in der Straße des 18. Oktober wurde zweimal Feuer gelegt und wir mussten nachts Wache halten. Das war schon eine schlimme Zeit.

Jetzt den ganzen Beitrag lesen im Wunderwesten

Bis zum nächsten Bohei & Tamtam sind
es noch …

Jetzt anmelden!